Der Dresdner Totentanz
 
von Theo
 
Kalter Novemberwind wirbelt raschelnd das letzte Laub umher. Einzig die Efeublätter, grünen Wogen gleich, trotzen. Menschen gehen gedankenversunken durch die Gräberreihen, bleiben hin und wieder stehen, manche kommen nur einmal im Jahr; immer am selben Tag. Es ist Totensonntag, der Gedenktag an die Entschlafenen. Gelegenheit, sich zu besinnen, dass wir mit den Gestorbenen verbunden bleiben. Werden wir unsere Verwandten oder Freunde, die aus unserer Mitte gerissen wurden, wiedersehen? Wie viel Zeit bleibt uns selbst noch auf Erden? Sollten wir nicht jeden Tag nutzen, ihn optimal auszugestalten? Fragen, die uns an diesem Tag beschäftigen. Trauer und Gedenken brauchen einen Ort und eine Zeit. Für viele ist es der Friedhof am Totensonntag.
 
Die Menschen vor Jahrhunderten hatten ein anderes Todesverständnis, der Friedhof war ein Ort der Geselligkeit, es herrschte reges Treiben. Man kam zusammen, um den Heiligen und den eigenen verstorbenen Angehörigen nahe zu sein. Gebeine wurden sogar ausgegraben und ins Beinhaus verbracht. Auf den Tod sollte man vorbereitet sein. Nichts war schlimmer, als das plötzliche Ende ohne Absolution. In den Sterbebüchlein "ars morendi" - der Kunst des rechten Sterbens - wurden die Menschen angehalten, Vorsorge zu treffen, ein gottgefälliges Leben zu führen und im Moment des Sterbens glaubensfest zu sein, denn gerade dann will der Teufel die Seele holen.
 
Der Tod war im Mittelalter noch allgegenwärtig. Die Lebenserwartung war niedrig, die Kindersterblichkeit hoch. Verstärkt wurde dies durch Kriege und Epidemien. Als Europa um 1347 - 50 um rund ein Drittel entvölkert wurde, war der Tod für einen jeden, egal welchen Standes, ein ständiger Begleiter. Das darf als endgültiger Auslöser für das Aufkommen einer speziellen Gattung von Bild- und Dichtwerken, den Totentänzen, betrachtet werden. Unter dem vorherrschenden Bilde des Tanzes allegorischer Gruppen wird die Macht des Todes über das Menschengeschlecht veranschaulicht. In Dresden hat sich davon bis heute ein wohl einzigartiges Sandsteinbildwerk dieser Art und Dimension erhalten. Das um 1534/35 vom Bildhauer Christoph Walter I. geschaffene Relief besteht aus 27 Figuren, ist etwa 1.20 Meter hoch und 12 Meter lang.
 
Wie in zahlreichen anderen Totentänzen des Mittelalters führt auch bei der Dresdner Gestaltung der Gleichmacher, Flöte blasend und mit Knochen trommelnd, die hierarchisch geordneten Vertreter aller Stände vom Papst und Kaiser bis zum Bettler und Kind. Jedoch erfolgt kein paarweises Zwiegespräch wie z.B. im Berliner Totentanz (1490) oder in der berühmten grafischen Abfolge von Hans Holbein (1539). Auch dass der Dresdner Totentanz ursprünglich an einem Schlossbau angebracht war, ist völlig außergewöhnlich. Bevorzugte Orte waren Kirchen und Friedhöfe.
 
Auftraggeber war der sächsische Herzog Georg (1471-1539), der in kirchlichen Fragen eigentlich reformwillig, ja sogar von Reformeifer erfüllt war, die Lehren Luthers jedoch später als ketzerisch ablehnte. So bezeichnete der Herzog den Reformator als "versoffenen Mönch", während Luther ihn in ungeheuerlichen Schmähschriften rüde attackierte. Der sächsische Fürst ließ sein Residenzschloss um ein repräsentatives Torgebäude erweitern, es entstand das Georgentor als erster Renaissancebau in Dresden. Steinerne Ornamente, Friese, Erker, Wappen, Reliefs und auch der Totentanz schmückten die Fassaden. Durch überlieferte Inschriften am Schloss mit der Jahreszahl 1530 und 1535 sowie der Nachricht, dass bei einer Begehung 1534 das Gerüst durchbrach und Georg mit mehreren Personen 3 Geschosse durchfiel, ohne allerdings Schaden zu nehmen, kann der Bau zeitlich eingeordnet werden. 1537 kam sogar König Ferdinand I. nach Dresden, um den Neubau zu besichtigen.
 
In einer Zeit voller religiöser Auseinandersetzungen sollte die künstlerisch anspruchsvolle Fassadengestaltung ein von weitem sichtbares Bekenntnis des Herzogs geben. Die der Elbe zugewandte nördliche Seite des Torbaus war dem Thema des Todes durch die Erbsünde gewidmet. So waren Adam und Eva, der Brudermord von Kain und Abel und zwischen 2. und 3. Obergeschoss der Totentanz angebracht. Die Südfassade hingegen verdeutlichte mit ihren Bildwerken die Überwindung des Todes durch Erlösung. Eine Schrifttafel enthielt den Grundgedanken, dass sich der Glaube an Erlösung von allen Sünden durch gute Werke beweisen müsse. Luther sprach hingegen von der Rechtfertigung des Sünders
Georg der Bärtige, Herzog von Sachsen
Georg der Bärtige, Herzog von Sachsen
vor Gott und seiner Erlösung "allein durch Gnade". Doch auch das persönliche Schicksal mag den Landesfürsten dazu veranlasst haben, einen Totentanz als "memento mori" an dem sonst heiteren Renaissancebau anzubringen.
 
weiter
© Theo